Samstag, 3. Mai 2014

ECHTER SCHWEIZER HAMMER : HEIMVERTRAG ALS VERWALTUNGSRECHT !

http://www.gerichte.lu.ch/printCss/index/rechtsprechung/rechtsprechung_detail.htm?noprint=yes&id=10045

http://www.polyreg.ch/d/informationen/bgeunpubliziert/Jahr_2012/Entscheide_4A_2012/4A.176__2012.html

OBERGERICHT   LUZERN   KONSTATIERT  VERWALTUNGSRECHTLICHEN   HEIMVERTRAG !

LEITSATZ :  " Der Bewohnervertrag eines Altersheims, dessen Trägerschaft eine im Besitz der Gemeinde stehende AG ist,  untersteht dem öffentlichen Recht. Der Zivilrichter ist daher nicht zuständig, über die anbegehrte  AUSWEISUNG  im Verfahren betreffend  Rechtsschutz in klaren Fällen zu befinden ."

Diese  Entscheidung ist rechtskräftig.  Das Bundesgericht in Lausanne hat die dagegen erhobene Beschwerde in Zivilsachen am 28.August 2012 abgewiesen ( 4 A 176/2012)

          X. lebt im Betagtenzentrum A.  Betreiberin dieses Zentrums ist die Y.AG, eine im Eigentum der Einwohnergemeinde B. stehende Aktiengesellschaft ,  welche in Erfüllung  öffentlicher Aufgaben  die stationäre Altersbetreuung im Auftrag der Gemeinde  bezweckt und wahrnimmt.  Der Gemeinderat von B. ordnete über X. eine Vertretungs- und  Verwaltungsbeistandschaft  an und übertrug dem Beistand u.a. die Aufgabe, für X. eine geeignete Wohnform zu  suchen . Die Y. AG kündigte X. den Bewohnervertrag .  X. focht diese Kündigung bei der Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht an. Diese trat auf das Begehren nicht ein mit der Begründung,  der Bewohnervertrag weise zwar  mietrechtliche Komponenten auf .  Da soziale und medizinische Aspekte dominierten, liege aber kein Mietvertrag nach OR vor. Die  Y. AG  gelangte daraufhin an das Bezirksgericht.  Dieses ging von einer klaren Sach- und Rechtslage aus und hiess das Begehren um Ausweisung von X. aus dem Heim gut. Eine dagegen von X. erhobene  Berufung wurde vom Obergericht gutgeheissen .

AUS  DEN  ERWÄGUNGEN :

          5. - Der Gesuchsgegner verlangt in allgemeiner Form  eine  " Überprüfung  der  Situation ", was an sich keine ausreichende Auseinandersetzung  mit dem angefochtenen Entscheid darstellt.  Der Eingabe des Gesuchsgegners lässt sich immerhin entnehmen, dass er die gegen ihn verfügte Ausweisung aus dem Altersheim nicht gelten lassen will,  also deren Aufhebung beantragt. 

                Unabhängig  davon, ob die Berufung  nach zivilprozessualen  Grundsätzen ausreichend begründet ist oder nicht, prüft das Gericht seine sachliche Zuständigkeit  als Prozessvoraussetzung von Amtes wegen. Fraglich ist hier insbesondere, ob überhaupt eine zivilrechtliche Streitigkeit vorliegt.  Dies deshalb, weil es sich bei der Gesuchstellerin  um eine Institution handelt, die in Erfüllung öffentlicher Aufgaben  der Einwohnergemeinde B. die stationäre Altersbetreuung im Auftrag der Gemeinde B. bezweckt und wahrnimmt.

           6. - Vorab ist somit zu klären, ob ein zivilrechtliches oder ein öffentlich - rechtliches  Rechtsverhältnis vorliegt.  Die Abgrenzung  bundesprivatrechtlicher Streitigkeiten   von öffentlich - rechtlichen ist  kasuistisch  geprägt.  Es sind  dafür  verschiedene  Theorien entwickelt worden, deren grundsätzliche Abgrenzungskriterien  sich nicht ausschliessen  und im konkreten Fall  nach ihrer Eignung  angewandt werden. .  In Betracht fallen die auch  Subjektionstheorie  genannte  Subordinationstheorie, die das Gewicht auf  die Gleich- oder Unterordnung der Beteiligten  bzw. die Ausübung  von hoheitlichem Zwang legt ; daneben werden aber auch die Interessen -  und  Funktionstheorie herangezogen, die danach unterscheiden, ob private oder öffentliche Interessen verfolgt bzw. öffentliche Aufgaben erfüllt werden.  Bei der Anwendung dieser Kriterien ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Unterscheidung  zwischen privatem und öffentlichem Recht  ganz verschiedene Funktionen zukommen, je nach den Regelungsbedürfnissen und den Rechtsfolgen, die im Einzelfall in Frage stehen.  Es stellt sich somit die Frage , ob die Vertragsbeziehung der Parteien dem privat - oder dem öffentlich - rechtlichen Bereich zuzuordnen ist .

           6. 1  Gemäss  der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gelten zur Abgrenzung, ob die Beziehungen zwischen Anstalt und Benützer dem öffentlichen Recht oder dem Zivilrecht unterliegen, folgende Zuordnungskriterien : Öffentlich - rechtlicher Natur ist die Beziehung, wenn  durch sie ein besonderes  Gewaltverhältnis begründet wird, kraft dessen die Anstalt  dem Benützer gegenüber mit obrigkeitlicher Gewalt ausgestattet ist, was in jedem Einzelfall anhand der konkreten Ausgestaltung  der Benützungsordnung  zu entscheiden ist.  Als Gesichtspunkte gelten dabei  insbesondere die unmittelbare  Verfolgung öffentlicher Zwecke und Aufgaben, im Vergleich zu denen die Absicht auf Erzielung  eines Gewinns von untergeordneter Bedeutung  erscheint,  sowie die einseitige , unabänderliche Regelung  der Anstaltsbenützung  durch Gesetz oder Verwaltungsverordnung ,  im  Gegensatz zur freien Bestimmbarkeit  der gegenseitigen Beziehungen  der Beteiligten auf dem Boden  der Gleichberechtigung . Zivilrechtlicher Natur ist das Benützungsverhältnis  nur in jenen Fällen, in denen die Benützungsordnung  es gestattet, wesentliche Einzelheiten des Bezugs,  insbesondere das Entgelt,  durch besondere Vereinbarung  zwischen der Anstalt und dem Bezüger von Fall zu Fall verschieden zu gestalten,  wobei die Einigung durch Unterhandlungen  mit gegenseitigem Vor - und Nachgeben herbeigeführt wird.   Dass die Gesuchstellerin  mit der stationären Altersbetreuung eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, wurde bereits ausgeführt . 

            6. 2  Nach  § 69 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes  (SRL Nr. 892 ) gehört es zu den öffentlichen Aufgaben in der Altersbetreuung, dass die Gemeinden  für ein angemessenes  ambulantes und stationäres Angebot für die Unterkunft, Betreuung und Pflege von  Betagten und Pflegebedürftigen sorgen.  In der Gemeinde B. wird diese Aufgabe von der Gesuchstellerin  in Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Auftrag der Gemeinde B. wahrgenommen.  Sie hat im Rahmen der Bestimmungen  ihrer Statuten  gemeinnützigen Charakter und verfolgt nebst der Sicherung  und Erhaltung der eigenen Betriebe  keine weiteren Gewinnabsichten.  Die Aktien der Gesuchstellerin befinden sich denn auch zu 100 Prozent im Eigentum der Einwohnergemeinde B.  Gegenstand des zwischen den Parteien abgeschlossenen Bewohnervertrags ist die Pension, Pflege und Betreuung des Gesuchgegeners  im Betagtenzentrum Y. Hinsichtlich des Aufenthaltes  im Betagtenzentrum Y.  besteht weder ein Recht auf ein bestimmtes Zimmer, noch ein Verhandlungsspielraum bezüglich des zu bezahlenden Entgelts,  da die Taxordnung integrierender Bestandteil des Heimvertrages bildet, welche vom Verwaltungsrat der Gesuchstellerin in Kraft gesetzt und jährlich angepasst wird .

             6 . 3   Mit  der Aufnahme in das Betagtenzentrum  Y. entstand somit - ähnlich wie beim Eintritt in ein Spital - ein öffentlichrechtliches  Benützungsverhältnis zwischen den Parteien . Dass die Gesuchstellerin  als privatrechtliche Aktiengesellschaft organisiert ist, ändert daran nichts.  Ein solches  Benützungsverhältnis  ( auch Anstaltsverhältnis oder Sonderstatusverhältnis  genannt ), wird  normalerweise durch Verfügung begründet.   Ein verwaltungsrechtlicher  Vertrag  kommt dort zum Zuge, wo er seiner Struktur nach  geeignet erscheint bzw.  erforderlich ist, um eine  Verwaltungsaufgabe optimal zu erfüllen.  Bei einem Bewohnervertrag zwischen einem von der Gemeinde getragenen Altersheim  und seinen Bewohnern  bestehen sachliche Gründe, welche die Vertragsform geeigneter als eine Verfügung erscheinen lassen, zumal der Aufenthalt in einer solchen Institution  das konstitutive Einverständnis  der Bewohner  voraussetzt .  Zudem bleibt mit der vertraglichen  Form  ihre Autonomie und Würde gewahrt.  Deshalb ist von einem  vertraglichen  Verhältnis  auszugehen und nicht von einem hoheitlichen. Die  Beurteilung des öffentlich - rechtlichen Verhältnisses  bzw, des verwaltungsrechtlichen  Vertrags zwischen den Parteien   fällt nicht in die Zuständigkeit der Zivilgerichte.  Auf das Ausweisungsgesuch  im Verfahren nach Art. 257  CH - ZPO  kann demnach    NICHT   EINGETRETEN   WERDEN . ( Art. 1 lit a , 59 Abs. 1 ZPO ) .

             7 . -  Selbst  wenn man von einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis ausginge  -  was nach dem Gesagten  nicht der Fall ist  -  wäre dem Ausweisungsgesuch  kein Erfolg beschieden.

Wie sich aus den Akten ergibt, ist dem Gesuchsgegener von der  Vormundschaftsbehörde ein  Beistand bestellt worden,  dessen ausdrückliche Aufgabe u.a. darin besteht,  für den Gesuchsgegner  eine geeignete Wohnform zu finden.  Der Vollzug des Ausweisungsbefehls  würde voraussetzen, dass  für den Gesuchsgegner  ein solcher Platz gefunden worden wäre.  Denn es blieb unbestritten , dass der Gesuchsgegener  alters - und krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, selbständig zu wohnen oder einen Haushalt zu führen und deswegen auf eine  24 - stündige Betreuung  angewiesen ist .  Die  Ausweisung könnte somit ohne Zusammenarbeit mit der zuständigen  Vormundschaftsbehörde  bzw. mit dem bestellten Beistand   nicht vollstreckt werden.  Diese im speziellen Fall  notwendige Zusammenarbeit mit der  Vormundschaftsbehörde   schliesst aber den Rechtsschutz  in klaren Fällen  aus, weil das  Vormundschaftsrecht,  obwohl im ZGB  geregelt und damit äusserlich ( formell ) dem Privatrecht angehörend,  der Sache nach ( materiell ) öffentliches Recht darstellt und im Bereich des Vormundschaftsrechts  die  Offizialmaxime gilt.   Zudem wird das Befehlsverfahren in der kantonalen Praxis  als unzulässig abgelehnt, wenn die Vollstreckung  von vornherein ausgeschlossen werden kann , was hier der Fall ist.   Überdies hat der Staat mit einer angemessenen Gesundheitsversorgung  dafür zu sorgen, dass kranke Menschen behandelt und gepflegt  werden können,  wobei die Schutzpflicht   gegenüber Pflegebedürftigen,  die sich in Heimen, Spitälern und Kliniken in staatlicher Obhut  befinden, besonders gross ist.  Mit dieser Schutzpflicht  nicht zu vereinbaren wäre,  den offensichtlich kranken,  auf Hilfe angewiesenen  Gesuchsgegner aus seinem Zimmer  im Heim wegzuweisen.  Auf das Ausweisungsgesuch  wäre daher auch aus diesem Grund   NICHT   EINZUTRETEN . "              #   ZITAT   ENDE   #


          Diese  sicherlich  geradezu epochale  Entscheidung des kantonalen Zivil - Obergerichtes  Luzern hat  in der Schweiz  natürlich gehörig für Aufregung gesorgt, insbesondere bei den Betreibern von  gemeindeeigenen Seniorenheimen.  Bislang ist hier  im wilden Ösistan  noch keinerlei Reaktion der Fachwelt bekannt geworden,  möglicherweise haben das die sogenannten Fachgelehrten bislang verschlafen - sie mögen endlich vom Schlafe aufwachen und sich den aufgeworfenen Streitfragen öffentlich stellen !  Es steht also erneut zur Debatte die eigentliche Rechtsnatur des Heimvertrages etc. in Einrichtungen,   die erkennbarerweise   hoheitliche , insbesondere  sozialrechtliche  Pflichtaufgaben  erfüllen, auch wenn sie angeblich  " privatrechtlich "  organisiert sind . 

           Unser  OGH  war erstmals  befasst mit diesen Fragen anlässlich der Entscheidung zur  GZ  6 Ob 247/97 k  vor 17 Jahren  und hatte offensichtlich keinerlei Bedenken bezüglich der zivilrechtlichen Natur des  Altenheimvertrages :

https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJR_19971016_OGH0002_0060OB00247_97K0000_001 

          Und  dann kam das Heimvertragsgesetz 2004  mit  einer höchst problematischen  gewaltsamen Einfügung ins Konsumentenschutzgesetz mit allen nur erdenklichen Folgen ! Die gesamte Judikatur des Wiener OGH  in diesen Fragen ist seither in sich sehr widersprüchlich  und schlichtweg eine Katastrophe. Während sich im Bereich Wien  massive Konflikte um sogenannte " Haushaltsbeiträge "  auftaten, die bis heute nicht gelöst werden konnten, verweigern bis heute diverse  vollstationäre  Einrichtungen der  landesrechtlichen Behindertenhilfe überhaupt jedwedes Vertragsverhältnis zu den zugewiesenen Klienten  und " begnügen " sich also mit den verwaltungsrechtlichen Verfügungen in Form eines Bescheides. 

          Auf der anderen Seite   rebellieren  diverse  private  Einrichtungsträger gegen die   diktatorische  Festsetzung angeblich nicht kostentragender Tagsätze  bis zur Existenzgefährdung und prozessieren   " zivilrechtlich "  gegen die   " hoheitliche "  Vorgangsweise auf der anderen  Vertragsseite. Die nun hoffentlich bald bekannt werdende  6. und  sicherlich  endgültige  Gerichtsentscheidung in Sachen  " Chance B "  gegen Land Steiermark  kann wohl nur lauten :  " Unzuständigkeit  der ordentlichen Zivil - Gerichtsbarkeit  und somit  Nichtigkeit des gesamten bisherigen Verfahrens " !

https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20121217_OGH0002_0040OB00134_12B0000_000 

           Während also in Deutschland  nach jahrelangen  intensiven Debatten  das WBVG  2009  eine  eindeutige und endgültige Klarstellung in Richtung Zivilrecht gebracht hat  auch in sämtlichen Betreuungsformen gegenüber volljährigen Behinderten,  bleibt  hierzulande  in der Mehrzahl der Bundesländer  nach wie vor völlig ungeklärt, ob  verwaltungsrechtlich  zugewiesene  Klienten  der Behindertenhilfe auch einen privatrechtlichen  Status in Anspruch nehmen können  in Form eines  zivilrechtlichen  Vertrages . Oder kommt es nun auch bei uns zur  justizgerichtlichen Feststellung   verwaltungsrechtlicher   Vertragsverhältnisse  mit den Konsequenzen, dass sich die Zuständigkeit der neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit ergibt ???    Das kann noch sehr spannend werden ! 


           Gemäß  neuester  Judikatur unseres OGH   in Haftungssachen  im Bereich der landesrechtlichen Behindertenhilfe handeln  grundsätzlich  sämtliche  Bedienstete und Beauftragte  von privaten Einrichtungen bei  allen Handlungen,  Duldungen  &  Unterlassungen trotzdem als  " ORGANE " des jeweiligen Bundeslandes mit voller Amtshaftung  des  Landes im Allgemeinen , weil sie ausschließlich hoheitliche  Pflichtaufgaben im Sozialbereich   durchführen , insoferne nicht die  Amtshaftung des Bundes nach §  24  des Heimaufenthaltsgesetzes  schlagend wird !

https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20130411_OGH0002_0010OB00019_13W0000_000

VERWALTUNGSRECHTLICHE   VERTRÄGE   ERZWINGEN    DIE    ZUSTÄNDIGKEIT   DER    VERWALTUNGSGERICHTSBARKEIT  !

zuletzt  geändert : 5. Mai  2014